Spiele mit moralischen Komponenten gibt es zur Genüge. Doch oft kratzen die Auswahloptionen in Spielen wie Mass Effect und Co. nur an der Oberfläche. Die Totally not Alliens wollen in ihrem Spiel All quiet in the Trenches Dilemata erzeugen, die wirklich unter die Haut gehen.
Ich stehe vorm IGZ Bamberg, dem Zentrum für Innovation und neue Unternehmen, und bin beeindruckt. Fast ein wenig neidisch. Nett haben es die Totally not Aliens und ihre Mitbewohner hier.
Die Architektur des hellen, modernen Gebäudes wirkt wie ein Stein gewordenes Symbol der Innovationskraft. Vor der Glasfassade des Hauses plätschert ein künstlicher Wasserlauf. Hinter der Eingangstür liegt eine große Lobby mit vielen Sitzmöglichkeiten, die zu inspirierende Gesprächen und Vorträgen einladen.
Die Nicht-Aliens wohnen in einem kleinen, gemütlichen Büroraum im ersten Stock. Ich werde herzlich von allen Anwesenden, Artist Jenny, Programmierer Alex und natürlich Game Designer Julian, begrüßt.
Während Alex und Jenny sich wieder an die Arbeit setzen, schwadronieren Julian und ich über Moral und Ethik in Videospielen und was das Konzept von All quiet in the Trenches so besonders macht.
Der entscheidende Punkt
Wie man „echte“ moralische Entscheidungen in Videospielen umsetzt, das ist eine der Fragestellungen, die Julian Bärlin umtrieb, als er die Idee zu dem Spiel hatte. Inspiriert wurde er von der Dissertation „Changeful tales: Design-driven approaches toward more expressive storygames“ von Aaron A. Reed. Vor allem das Kapitel über „Social Simulations“ erregte seine Aufmerksamkeit.
Darin wird zwischen Elementen einer Spielwelt, beziehungsweise der Storyline eines Spiels, unterschieden, die statisch sind („fictional“) und solchen, die dynamisch auf Handlungen reagieren („simulated“). In einer „Social Simulation“ reagieren beispielsweise KIs wirklichkeitsnah auf die Handlungen des Spielers oder das Spielgeschehen.
Reed ist überzeugt, dass ein Spieler mehr über Konzepte wie Mut, Korruption oder Pflicht lernt, wenn er damit herumspielen kann wie mit einer Geografie- oder Wettersimulation.
Indem er beobachtet, was passiert, wenn er sich in einer bestimmten Weise verhält, erhält er tiefere Einblicke in die Botschaften eines Spiels als durch statische Erklärung (aka „Moralkeule“). Das bedeutet auch, je mehr Handlungsfreiheit oder auch Entscheidungsfreiheit ein Spieler hat, desto tiefgreifender das Spielerlebnis.
Das Problem: Die meisten Entscheidungen, die wir in Spielen treffen dürfen, wirkten sich zu wenig auf den Handlungsverlauf aus, findet Julian: „Wähle ich Option A, mache ich aus dem Protagonisten einen althruistischen Helden, wähle ich B, simuliere ich ein egoistisches Arschloch. Egal! Denn am Ende rette ich doch die Galaxis!“
Im realen Leben sind aber die Konsequenzen unseres Handelns nicht immer klar abzusehen. Das ist es, was ein echtes Dilemma ausmacht und diesen Effekt wollte Julian auf sein Spiel übertragen.
Aus dieser Motivation heraus, entwickelte er das Konzept von All quiet in the Trenches, einem Anti-Kriegsspiel, in dem es keine vorgeschriebene Geschichte zum Nacherleben gibt, sondern die interaktive Spielmechanik einen großen Teil der Story schreibt. Es sind die Entscheidungen des Spielers, welche die Handlung bestimmen und die am Ende über Sieg oder Niederlage entscheiden.

Revolution im Schützengraben
In All quiet in the Trenches schlüpfst du in die Rolle eines Unteroffiziers, der im ersten Weltkrieg an der Westfront mit einer Hand voll Soldaten um das tägliche Überleben in den Gräben kämpft. In deinem Tagebuch werden die Ereignisse dokumentiert. Es begleitet dich überall – egal ob im Kampf oder in den Ruhephasen im Camp.
Hier lernst du deine Soldaten – die alle eine eigene Persönlichkeit haben – besser kennen und tust alles dafür, dass sie der Schrecken des Krieges nicht einholt. Vorräte müssen verwaltet, Lagerdienste verrichtet werden. Alles dient am Ende der Vorbereitung auf die nächste große Schlacht.
Der Kampf entscheidet sich in einem Runden-basierten Strategie-Szenario. Jetzt zeigt sich, ob du deine Jungs gut für den Krieg gerüstet hast – ob sie dem Feind mutig ins Auge blicken oder fliehen. Denn deine Soldaten führen nicht jeden Befehl sofort aus. Es kommt vor, dass sie dich und dein Handeln hinterfragen.
Indie-Projekte bieten nicht nur Raum für Experimente mit Spielkonzepten, sondern auch für sehr persönliche Storys, so wie in Upside Drown von Rivers and Wine Studios.
Wenn du im Vorfeld „falsche“ Entscheidungen getroffen hast, kann es sogar passieren, dass sie deinen Befehlen gar nicht mehr folgen. Das ist eine der Besonderheiten des Spiels: Die Soldaten verhalten sich „menschlich“, nicht wie du es gerne hättest. Das war den Totally not Alliens sehr wichtig.
Die Kampfmechanik sticht auch deshalb heraus, weil es nicht das Ziel des Kampfes ist, alle Gegner zu töten. Um den Kampf zu gewinnen reicht es vollkommen aus, sie in die Flucht zu schlagen oder zur Aufgabe zu bringen. Zudem ist gewinnen nicht zwingend nötig, geschweigedenn immer möglich.
Kann man Kriege gewinnen?
In beiden Spielebenen gibt es zufällige Events/Szenarien, die eine Entscheidung von dir fordern. Mal ist das die banale Erinnerung an den Latrinendienst, den einer deiner Soldaten absolvieren muss. Mal musst du dich als guter Kommandant auf dem Schlachtfeld beweisen, mal gilt es die Bevölkerung für sich zu gewinnen.
Aber: Nie sagt dir das Spiel, was richtig oder falsch ist. Je nach aktueller Situation, kann die Entscheidung für oder gegen den Überfall auf ein Dorf, über das Schicksal deiner ausgehungerten Soldaten entscheiden. Die moralische Niederlage bleibt gewiss. Kann man so überhaupt gewinnen?
Julian zuckt mit den Schultern und erwidert: „Es ist ein Anti-Kriegsspiel. Natürlich soll es sich nicht nach Urlaub anfühlen.“ Vielmehr soll es den Spieler zum Mitfühlen und Nachdenken anregen. Vor allem aber zu einer Auseinandersetzung mit den eigenen Moralvorstellungen. Der Game Designer sieht sich da in einer Tradition mit Spielen wie This War of Mine.
Gerade wird All quiet in the Trenches einer Generalüberholen unterzogen. Neben einer neuen Grafik und einer überarbeiteten Spielmechanik soll es demnächst noch deutlich mehr Soldaten für die Truppe geben. Kanonenfutter quasi, denn mit Sicherheit wirst du einige Soldaten auf dem Schlachtfeld verlieren.
Wenn du neugierig geworden bist und mehr zum Spiel erfahren willst, empfehle ich den Blog-Beitrag auf der Seite der Totally not Aliens.
2 Gedanken zu “Totally not Aliens und All quiet in the Trenches: Moral und Ethik in Videospielen”