screenshot aus dem videospiel back to bed surrealistisch traumwelt

Game Studies: Zockst du noch oder träumst du schon? Ein Interview mit Adrian Froschauer über Träume in Videospielen

Regelmäßig wollen wir euch spannende Forschungsprojekte aus den Game Studies vorstellen, die zum Nach- und Weiterdenken anregen. Zum Einstieg haben wir uns mit Doktorand Adrian Froschauer vom DFG-Graduiertenkolleg „Europäische Traumkulturen“ der Universität des Saarlandes über seine Beobachtungen zur Darstellung und Bedeutung von Träumen in Videospielen unterhalten.

Hallo Adrian, fass doch mal kurz und knapp für uns zusammen wer du bist und was du machst.

Ich bin Adrian Froschauer und promoviere am DFG-Graduiertenkolleg „Europäische Traumkulturen“ über Träume in Videospielen.

Und wenn du nicht forschst?

Ich habe vor der Promotion ein redaktionelles Volontariat gemacht und schreibe auch heute noch ab und zu für diverse Zeitschriften und Magazine. In meiner Freizeit spiele ich Gitarre, zocke natürlich, war vor Corona in einer Theatergruppe aktiv und spiele gerne Tabletop- und Pen & Paper-Rollenspiele. Ich mag einfach interaktive Geschichten.

Adrian Froschauer Game Studies Traumforschung Back to Bed
Sichtung von Forschungsmaterial: Das Zocken von Games mit „traumhaften“ Inhalten gehört für Adrian zum Arbeitsalltag. Quelle/Autor: Gerhild Sieber

Was genau ist das Graduiertenkolleg „Europäische Traumkulturen“ und was machen du und deine Kollegen da?

Das Graduiertenkolleg „Europäische Traumkulturen“ ist ein vom DFG finanziertes wissenschaftliches Projekt, das jetzt in der 3. Generation zur Wissensgeschichte des Traums forscht. Träume spielen seit Jahrtausenden eine wichtige Rolle in Kunst und Kultur, was aber in der Wissenschaft bisher wenig beachtet wurde. Bei uns sind Vertreter verschiedener kultur- und geisteswissenschaftlicher Fächer wie Philosophie, Musik und Literatur angestellt. Gemeinsam versuchen wir diese Forschungslücke zu schließen. Erkenntnisse aus Psychologie und Neurologie spielen dabei natürlich auch eine Rolle, wir fokussieren uns als Geisteswissenschaftler aber auf kulturelle und historische Aspekte.

Kocht da jeder sein eigenes Süppchen oder arbeitet ihr auch zusammen?

Bei uns findet ein reger Austausch statt. Es gibt regelmäßig Seminare, Workshops, Beratungstermine und Treffen. Und natürlich haben wir auch persönlichen Kontakt. Einer meiner Kollegen beschäftigt sich in seiner Dissertation mit Traumerfahrungen in den Filmen von David Lynch. Er hat mich darauf hingewiesen, dass es in Max Payne (Remedy Entertainment, 2001) viele Referenzen auf Lynchs Werk gibt. Eine andere Kollegin forscht zu autobiographischen Traumtagebüchern und konnte mir schon diesbezüglich ein paar wertvolle Lesetipps geben. Denn es gibt Spiele, die auf realen Träumen basieren, zum Beispiel LSD: Dream Emulator (Asmik Ace Entertainment, 1998) oder Grandmother’s Garden (Kitty Horrorshow, 2020). Das sind aber dann natürlich sehr subjektive geprägte Erinnerungen, die einen Status irgendwo zwischen Fiktion und Biographie einnehmen.

Wie kamst du darauf, dich ausgerechnet mit Träumen in Videospielen zu beschäftigen?

Um ehrlich zu sein, weil nach dem Volontariat einfach die Gelegenheit da war. Ich hatte mich aber schon vorher im Rahmen meiner Bachelorarbeit in Germanstik mit narrativen Strukturen in Games beschäftigt. Das war aber noch sehr allgemein. In meiner Masterarbeit habe ich den Blick dann auf Erzählerstimmen verschärft. Seitdem hat die Spielforschung mich nicht mehr losgelassen: ich habe Konferenzen besucht, Vorträge gehalten und Artikel veröffentlicht. Träume haben immer eine narrative Komponente. Von daher passt das Thema durchaus zu meiner bisherigen wissenschaftlichen Arbeit. Darauf gestoßen hat mich aber mein Doktorvater Manfred Engel, emeritierter Professor für Germanstik an der Uni Saarbrücken, der viel zu Träumen forscht und auch einer der Gründer des Kollegs ist. Er unterstützt mich enorm, hat immer wieder spannende Anregungen, obwohl er selbst noch nie ein Videospiel gespielt hat. Er schaut sich aber Let’s Plays an und gibt mir dann Feedback.

Woran merkt ein/e Spieler/in, dass er/sie beziehungsweise der Avatar gerade träumt?

Das passiert, wie übrigens auch im Film, über Traummarkierungen oder einen Traumrahmen. Diese kommunizieren, dass es sich gerade um einen Traum handelt. Wir haben wahrscheinlich alle schon mal im Fernsehen gesehen, wie das Bild verschwimmt und eine Harfe erklingt, bevor zu einem Traum übergeblendet wird. Das ist natürlich ein Klischee, das heute meistens ironisch benutzt wird, aber es macht, gerade weil wir es schon so oft gesehen haben, direkt klar: Achtung, hier beginnt ein Traum! Aber natürlich werden Träume auch subtiler oder geschickter markiert: Zum Beispiel durch einen Zoom auf die Augen, die sich langsam schließen, durch einen „Fade-Out“ oder auch am Ende eines Traums durch einen harten Schnitt auf den Protagonisten, der plötzlich in seinem Bett hochschreckt und feststellt, dass sein schreckliches Erlebnis nur ein Alptraum war. Das ist übrigens etwas, das in der Realität nicht statt findet, da der Körper direkt nach dem Aufwachen immer noch ein wenig gelähmt und viel zu träge für solche Reaktionen ist. Diese Phase nach dem Aufwachen nennt man „sleep inertia“. Aber natürlich ist so ein Hochschrecken viel spektakulärer als ein müdes Blinzeln.

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Von Comics inspiriert: Das Ende der internationalen Version von Super Mario Bros 2. hat einen der ersten „Traum-Twists“ der Computerspielgeschichte. Quelle: Super Mario Bros 2, Nintendo, Autor: Adrian Froschauer

Inwieweit bedienen sich Games bei der Darstellung von Träumen bei anderen, älteren Medien?

Das passiert sehr oft. In Super Mario Bros. 2 (Nintendo, 1988) gibt es im Nachhinein eine Markierung durch eine Gedankenblase. Man spielt also das Spiel durch und sieht am Ende dann, wie Mario in seinem Bett liegt, die Augen geschlossen hat, und in einer Gedankenblase ist die letzte Spielszene eingerahmt. Das ist natürlich von Comics inspiriert. Besonders oft greifen Games aber auf filmische Elemente zurück. Dieser Zoom auf die träumende Person beispielsweise, bevor man in ihre Traumwelt schlüpft, oder verschiedene andere Überblendungstechniken, das gab es alles schon in Film und wird in Games gerne aufgegriffen.

Gibt es etwas, was spezifisch für Games ist?

Die meisten Träume in Games sind Alpträume. Klar: Ein Großteil der Spiele lebt ja auch davon, dass man sich Gefahren und Herausforderungen stellt. Mir ist außerdem aufgefallen, dass Traumwelten oft auf einer Art Plattform stattfinden, einem Raum, der von der restlichen Spielwelt abgetrennt ist. In Catherine (Atlus/Deep Silver, 2011) beispielsweise findet der größte Teil des Spiels in den Träumen des Protagonisten statt. Du bist auf einer Art Turm, der im Nichts schwebt, auf dem du nach oben klettern musst, indem du Würfelelemente verschiebst. Dem Genre nach also ein Puzzle-Game. Die Story in der Wachwelt spielt sich dagegen komplett in einer Kneipe im Stil eines Visual Novel ab.

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Eine surreale Kulisse, die auf einer Plattform im leeren Raum schwebt, ist typisch für die Darstellung von Träumen in Games, so wie hier in Back to Bed. Quelle: Back to Bed (Bedtime Digital Games, 2014), Autor: Adrian Froschauer

Passiert die Abgrenzung immer nur über die visuelle Ebene oder gibt es auch andere Mittel?

Grundlegend für die Darstellung von Träumen in allen Medien ist ihre sogenannteAbweichungsästhetik. Das heißt, es ist wichtig, dass die Traumwelt von der Wachwelt des Films oder Games abweicht. Das betrifft alle Ebenen. Das kann visuell sein, die Physik der Welt, beziehungsweise narrative Inhalte betreffen oder auch die Musik. In Alpträumen gibt es ganz oft verzerrte Klänge, um den Horror abzubilden, den die/der Träumende gerade erlebt. Für mich ist vor allem die Frage spannend, ob es die Abgrenzung auch auf Ebene der Interaktion gibt.

Was hast du da bisher herausgefunden?

Typisch ist, dass sich wie im Falle von Catherine das Genre beziehungsweise der Spielmodus ändert. Nier (Cavia/Square Enix, 2010), der Vorgänger von Nier: Automata (Platinum Games/Square Enix, 2017), ist eigentlich ein klassisches Action-RPG. Im Spielverlauf kommt man in ein Dorf, dessen Bewohner in ihren Träumen gefangen sind. Man muss in ihre Träume reisen und sie dort befreien. Wenn man einem Bewohner hilft, wird der Bildschirm schwarz und man hat plötzlich ein Text-Adventure vor sich. In vielen Spielen wird der Traum auch einfach in einer Cutscene abgehandelt und der Spielfluss dadurch gänzlich unterbrochen. Dass zu einem gewissen Grad Interaktivität rausgenommen wird, ist sehr typisch für die Umsetzung von Träumen in Games.

Welchen Zweck hat dieses Mittel?

Am Beispiel von Max Payne lässt sich das ganz gut erklären. Das Grundspiel ist eine klassische Rachgeschichte, sehr actiongeladen. Die Familie des Protagonisten wurde ermordet. Im Verlauf des Spiels gibt es zwei Aptraumsequenzen, in denen das Trauma seines Verlusts abgebildet wird. In diesen Alptraumszenen gibt es kaum Action. Es finden keine Schießereien statt. Max kann sich also nicht wie gewohnt einfach mit Waffengewalt seinen Weg freiballern. Dazu kommt die verwirrende, labyrinthartige Architektur der Szenerie, die beim Spielen total frustriert. Durch den Genrewechsel und die spezielle Inszenierung vermittelt das Gameplay ein Gefühl der Machtlosgkeit. Es transportiert also die Empfindungen des Avatars. Damit wird der Charakter psychologisiert. Wir erfahren mehr über seine Handlungsmotivation, ohne dass sie explizit angesprochen werden, ganz im Sinne des „show, don’t tell“.

Max Payne Labyrinth Traum
Die labyrinthartig aufgebauten Traum-Level in Max Payne sorgen für Frust beim Zocken, haben aber einen tieferen Sinn. Quelle: Remedy Entertainment/Rockstar Games, Autor: Adrian Froshauer

Träume sind also ein wichtiges narratives Werkzeug?

Es muss immer eine Person geben, die träumt. Damit sind Träume grundsätzlich ein narratives Element. Sie werden auch gerne in Form von prophetischen Träumen auch gerne am Anfang eines Spiels eingesetzt. Einfach weil sie sich gut als Einführung in die Erzählung anbieten: Du bist diese Figur – der Protagonist, und das ist dein Ziel – die Erfüllung oder Abwendung der Prophezeiung. In diesem Fall sind die Träume Kontextbezogen und tragen zur Immersion des Spielers bei. Sie können aber auch eine disruptive Funktion haben, indem sie den Spielfluss durchbrechen. Das regt den Spieler zum Nachdenken an. Einen ähnlichen Effekt hat auch das „Abusive Game Design“, das uns bei Träumen häufig begegnet.

Was genau meint der Begriff abusive Game Design?

„Abusive Game Design“ ist ein Begriff der Spieleforscher Miguel Sicard und Douglas Wilson. Diese Art des Game Design will Spielende bewusst desorientieren, entmächtigen und frustrieren. Du wirst vor Hindernisse gestellt, die gar nicht oder nur schwer überwindbar sind. Ähnlich wie oben beschrieben bei Max Payne. Das erinnert ein wenig an den Verfremdungseffekt in Bertolt Brechts epischem Theater: Der Rezipient soll eine kritische Distanz zur Handlung einnehmen und darüber reflektieren.

Ist dir ein Spiel begegnet, das das Konzept auf die Spitze treibt?

LSD-Dream Emulator fällt mir dazu ein. Den hatte ich anfangs schon erwähnt. Das Spiel ist eine Art Walking-Simulator, wobei es schon viel älter ist, als dieser etwas unpassende Genre-Name, der später durch Spiele wie Dear Esther (The Chinese Room, 2012) und Gone Home (The Fullbright Company, 2013) geprägt wurde. Schon der Titel lässt erahnen, dass hier eine Traumerfahrung dargestellt wird. Es spielt auf schräge Weise immer wieder mit den Erwartungen. Und je länger es geht, desto abgefahrener wird es. Unter anderem werden einfach die Texturen der Objekte in den Leveln scheinbar wahllos vertauscht.

Wie könnten Game Designer in Zukunft noch innovativer mit dem Thema Traum umgehen?

Einige Spieleentwickler nutzen Träume als Alibi, um Fiktionsbrüche erklärbar zu machen. Dabei könnten sie sich viel mehr austoben, auch fernab der Film-Tropes. Wenn sich Träume in einem Spiel an einer realen Traumtheorie orientieren, ist das meistens die Psychoanalyse nach Freud oder Jung. Dabei gäbe es in der Wissensgeschichte des Traums noch so viele andere spannende Ideen zu entdecken. Das Spiel The Dream Machine (Cockroach Inc., 2010) basiert etwa auf der Arbeit des Neurologen John Lilly, der in den 60er Jahren vor dem Einschlafen LSD nahm und dachte, wir reisen in unseren Träumen alle in eine Parallelwelt, die er dann versuchte zu kartografieren. Das ist natürlich Unsinn, aber ein tolles Setting für ein Spiel! Auch andere Kulturen und Epochen hatten eigene interessante Traumauffassungen, die man in Spielen mehr erkunden könnte. Etwa das alte Ägypten oder das antike Griechenland. Damals haben politische Machthaber oder Feldherren ihre Träume von professionellen Traumdeutern analysieren lassen und sich oft in ihren Entscheidungen danach gerichtet. In Assassin’s Creed: Origins (Ubisoft Montreal, 2017) kommt zum Beispiel ein solcher Traumdeuter vor. Es gab in der Antike sogar schon Traumdeutungshandbücher, wie man sie heute noch in Buchhanldungen oder im Internet findet. Das „Oneirokritika“ von Artemidor von Daldis ist das älteste erhaltene dieser Art. Ich kann mir sehr gut ein Spiel mit antikem Setting vorstellen, dessen Traumdarstellung sich daran orientiert. Es gibt da noch so viele Möglichkeiten!

Vielen Dank, Adrian, für die Anregungen und das nette Gespräch!

Lust auf mehr Game Studies? Wir auch! Wenn ihr gerade an einem richtig spannenden Forschungsprojekt sitzt oder es vielleicht sogar schon abgeschlossen habt und findet, dass es bei uns auf die Seite passen würde, dann kontaktiert uns gerne unter redaktion@gamerrepublic.de. Ein weiteres Game Studies-Interview findet ihr hier. Dort haben wir uns mit Historiker Felix Zimmermann über Games als Erinnerungskultur unterhalten.

2 Gedanken zu “Game Studies: Zockst du noch oder träumst du schon? Ein Interview mit Adrian Froschauer über Träume in Videospielen

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