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Das Haus des Spiels: Ein Utopia für Gamer/innen im Nürnberger Pellerhaus

Im Haus des Spiels in Nürnberg treffen sämtliche Ausprägungen von Spiel(-Kultur) aufeinander. Ausgehend von der größten deutschsprachigen Brett- und Gesellschaftsspielsammlung – dem Deutschen Spielearchiv – bietet es Vereinen, Spiele-Forschenden oder Bürgern und Bürgerinnnen der Stadt eine Anlaufstelle und kreativen Raum für (Spiel-)Ideen jeglicher Art.

Alles begann mit der Sammelleidenschaft für Spiele des Marburger Universitätsprofessors Dr. Bernward Thole, Germanist, Medienwissenschaftler und Spielekritiker. Mit 5.000 Spielen aus seinem Privatbesitz als Basis, gründete er 1985 das Deutsche Spielearchiv. Heute ist es das größte deutschsprachige Brettspielarchiv in öffentlicher Hand und besteht aus über 30.000 Exemplaren.

Als die Räumlichkeiten in Marburg 2009 zu klein wurden, bemühte sich Nürnberg um eine Übernahme. Die Norisstadt hat eine 600 Jahre zurückreichende Tradition der Spielzeugherstellung und mit der Spielwarenmesse vor der Haustür, war sie als Standort für die Sammlung prädestiniert. Auch in Marburg war man sich bald einig, dass das Archiv in Nürnberg gut aufgehoben ist.

2013 zog das Deutsche Spielearchiv dann aus einem Zwischenlager aus und in die ehemalige Nürnberger Stadtbibliothek ein. Das Pellerhaus, benannt nach einem Kaufmann, der das Haus 1602 erbauen ließ, war also bereits eine feste Größe in der nürnberger Stadtkultur. Die leeren Bücherregale wurden mit Spielen gefüllt und das Team des Haus des Spiels begann nach und nach auch die anderen Räume wieder mit Leben zu füllen.

Das Deutsche Spielearchiv wächst über sich hinaus

Als Nürnberg sich um den Titel als Kulturhauptstadt für das Jahr 2025 bewarb, stand fest: Das Gebäude soll mehr werden als nur ein staubiges Archiv. Die Idee dazu geht auf die damalige Leiterin des nürnberger Museumsverbunds, Ingrid Bierer, zurück. Ein naheliegender Gedanke, schließlich sind Spiele ein interaktives Medium das Menschen zusammenbringt und daher perfekt geeignet, um einen Beitrag zur Stadtkultur zu leisten.

Das ehemalige Kaufmannshaus wird dabei selbst zur Spielwiese für Ideen, um die Kulturgutsammlung in eine Begegnungsstätte zu verwandeln. Gemeinsam mit verschiedenen Kooperationspartnern sucht das Team vom Haus des Spiel seit dem beständig nach Möglichkeiten, das ehemalige Büchermagazin in einen Ort zu verwandeln, an dem Menschen zusammenkommen und sich spielend austauschen können.

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Für die Restauration der Raritäten holt sich das Team vom Haus des Spiels gelegentlich Unterstützung dazu. Hier kümmert sich eine Hochschulstudentin in Kooperation mit dem HdS um den erhalt des Bestands. Quelle/Autor: Haus des Spiels

Zwar gab es schon seit 2013 verschiedene Veranstaltungsformate zum analogen Spiel, das 2018 ins Leben gerufene Programm Testspiele verfolgt darüber hinaus einen ganzheitlichen Ansatz des Themas Spiels. Gemeinsam mit Partnern wie dem Ali Baba Spieleclub, der zeitgleich mit dem Spielearchiv einzog, möchte das Personal des Haus des Spiels aktiv ausprobieren, wie die Zukunft der Institution aussehen könnte.

Das Feedback aus der Community, der immer wieder auch eine tragende Rolle bei dem Konzept zuteil wird, half und hilft dabei, die Angebote auf die Bedürfnisse der Besucher zuzuschneiden und so das Projekt weiterzuentwickeln – und gleichzeitig in der Nürnberger Stadtgesellschaft fest zu verankern.

Das Haus des Spiels versteht sich dabei als Bühne und Plattform für Spiele aller Art. Das schließt auch die Schnittstellen zwischen analoger und digitaler Spielwelt ein.

Begegnungskultur: Analog trifft Digital

Das Archiv besteht zwar hauptsächlich aus analogen Spielen, doch finden sich dort auch einige digitale Fundstücke. Denn Dr. Thole schrieb seinerzeit diverse Videospielentwickler an, bat um Spieleexemplare und bekam tatsächlich einge Menge zugeschickt.

So lagert im „Turm“ des Pellerhauses unter anderem eine NES und ein Vectrex, beide originalverpackt. „Darunter sind auch noch so Raritäten wie das Saba Videoplay. Das ist eine der ‚deutschen‘ Versionen des Fairchild Channel F. Das Saba Videoplay kann man inzwischen in unserem Gaming Room, den die Noris-Liga betreibt, nach Anmeldung sogar bespielen“, erzählt Sebastian Pfaller, Kulturwissenschaftler und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Haus des Spiels.

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Vorträge zu analogen und digitalen Spielkulturen und -welten gehören fest zum Programm im Haus des Spiels. Quelle/Autor: Haus des Spiels

Hin und wieder kommen die digitalen Sammlerstücke, die jedes Retrogamer-Herz schneller schlagen lassen, auch auf diversen Events zum Einsatz.

Gerade in den zahlreichen Veranstaltungsformaten kommt die Begegnungskultur, die im Konzept fest verankert ist, besonders zum Tragen. Mal Haus-intern, mal gemeinsam mit verschiedenen Projektpartnern, bietet das Haus des Spiels eine breite Auswahl an Events für unterschiedliche Interessengruppen.

Archive und Museen sind naturgemäß ein Ort, an dem Wissen gesammelt, vermittelt und manchmal auch erzeugt wird. Da ist auch das Haus des Spiels keine Ausnahme. Daher gehören auch pädagogische Workshop-Angebote für Schulklassen oder Informationsveranstaltungen für Eltern zum Veranstaltungsprogramm.

Neben diversen einzelnen Veranstaltungen, gibt es auch regelmäßig stattfindende Formate. Darunter der Franken Game Jam, der in Kooperation mit einem Team von Studenten der Universität Bayreuth an mittlerweile fünf Locations in Franken statt findet. Eine davon ist das Pellerhaus.

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Die Lange Nacht der Video- und Computerspiele ist eine der Gelegenheiten, bei denen die Digital-Sammlung aus dem Schrank geholt wird. Quelle/Autor: Haus des Spiels

Wir haben uns vorletztes Jahr für euch unter die Jammer gemischt. Unsere Eindrücke kannst du in unserem Artikel „Franken Game Jame 2019: Mehr Jammer braucht das Land“ lesen.

Im Oktober 2020 fand außerdem zum ersten Mal das Games & Festival statt, das vom Haus des Spiels gemeinsam mit dem Medienzentrum Parabol ins Leben gerufen wurde. Das Event soll Spiel-Akteure aus der Region vernetzen und gleichzeitig auf ihre Angebote – egal ob analog oder digital – aufmerksam machen.

Offen für Alle(s)

Das Haus des Spiels möchte aber mehr sein, als „nur“ ein Ort der Zusammenkunft. Es möchte offen sein für jeden, der sich zum Thema Spiel kreativ austoben will.

„Das Experimentieren mit Spielideen und ein gewisser Werkstattcharakter ist einer der Grundpfeiler unseres Konzepts“, erläutert Christin Lumme, Kunsthistorikerin und Museologin und Teil des Haus des Spiels-Teams. An Ideen und Möglichkeiten dafür mangelt es nicht.

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Im Pellerhaus wird nicht nur regelmäßig gemeinsam gespielt, sondern auch gebastelt und gewerkelt. Aus den vorhandenen Materialien entstehen so neue Spielideen. Quelle/Autor: Haus des Spiels

Als das Stadtarchiv und die Bibliothek auszogen, blieb einiges zurück: Von verwaisten Büchern über Büromaterial bis hin zu kompletten Möbelstücken. Draus entstand die Idee zum Format Exit the Pellerhaus, eine Escape-the-Room-Spielreihe, in der die hinterlassenen Materialien zum Einsatz kommen. Aufgrund der Corona-Pandemie schläft das Projekt allerdings und es ist nicht sicher, ob es vor dem Umbau wieder aufgenommen werden kann.

In einem der neueren Coups des Hauses, dem playLAB!, entstehen gemeinsam mit Künstlerin und Pädagogin Lena Hendlmeier sowie der Noris Liga aus den Hinterlassenschaften Brettspiele oder anderes Spiel-Zeug – sowohl analog als auch digital.

Aus Kooperationen wie diesen – mittlerweile kommen sie auf 150 Partnerschaften – erwächst ein kunterbuntes Angebot, das wirklich alle Facetten des Spiels berücksichtigt.

Auf der Liste der Veranstaltungen stand beispielsweise für August 2021 eine Kooperation mit dem Theaterprojekt Der Puzzlemacher. THEATERTRÄUME stellte durch die Kombination von Tanz, Schauspiel und Musik eine einzigartige Symbiose zwischen der Architektur des Pellerhauses und Theater her.

Das Konzept kam sehr gut an – alle Veranstaltungen waren ausverkauft. An der Inszenierung beteiligt war auch die Stückwerkstatt Schimmert, einer der ständigen „Bewohner“ des Pellerhauses.

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Der historische Teil des Pellerhauses sorgt für die nötige Atmosphäre bei LARP-Events wie diesem, dem „Schatten der Rose“. Quelle/Autor: Haus des Spiels

Die einzigartige Kulisse des historischen Gebäudes mit dem eindrucksvollem Foyer und dem imposantem Innenhof bietet sich geradezu für Theater- oder auch LARP-Events an.

Cosplay ist daher ein weiteres Thema, das im Pellerhaus „bespielt“ wird. So unter anderem bei einem Pokémon-Live-Event der Loris Liga. Dort kann man in Cosplay-Outfits mit seiner Switch teilnehmen und gegen „echte“ Arenaleiter-innen antreten. Im Juni 2021 startete außerdem eine Foyerausstellung, die Cosplay und LARP in den Fokus rückte.

Wissen schafft Spiel

Einen besonderen Platz haben dabei unter anderem wissenschaftlich motivierten Projekte. Das gigantische Lager an Brett- und Gesellschaftsspielen ist für Studierenden unterschiedlicher Disziplinen und ihre Forschungsprojekte mit Spielbezug eine Goldgrube. Dazu kommen einige Kooperationsprojekte mit Unis oder Hochschulen.

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Das Foyer im Pellerhaus wird gerne als Ort für Ausstellungen genutzt, bietet aber auch genug Raum für kleinere Events. Quelle/Autor: Haus des Spiels

Für die Foyerausstellung Playing Tourist beispielsweise, tat sich das Haus des Spiels mit dem Studiengang „Computerspielwissenschaften“ der Universität Bayreuth zusammen. Jährlich wird hier ein Screenshot-Wettbewerb abgehalten. Die Gewinner werden im Pellerhaus ausgestellt. Das Haus des Spiels steuert Spielexemplare aus dem Archiv bei, die sich mit dem Thema Reisen beschäftigen.

Mit den Theater- und Medienwissenschaften der FAU Erlangen-Nürnberg entstanden gleich mehrere Projekte, darunter das Habilitationsvorhaben von Dr. Peter Podres, das Event PLAYING THE CITY, das ergründen möchte, wo und wieviel Spiel in Nürnberg steckt oder das Reality-Jagdspiel Journey to the end of the night, bei dem eine Gruppe von Jägern (Chaser) versucht, so viele Gejagte (Runner) wie möglich einzufangen.

Gemeinsam mit Psychologe Dr. Marius Raab von der Universität Bamberg entwickelte das Haus des Spiels außerdem ein Konzept für eine gamifzierte Stadtführung durch Nürnberg.

An dieser Kooperation ist auch das EMPAMOS-Projekt der TH Nürnberg beteiligt. Dies untersucht unter der Leitung von Prof. Dr. Thomas Voit die vorhandenen Brett- und Gesellschaftsspiele im Spielearchiv hinsichtlich ihrer Spielmuster, um die motivierenden Spielelemente aufzuschlüsseln.

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Zum Archiv gehört mittlerweile auch eine kleine Spieltheorie-Bibliothek, die auch Games-Literatur umfasst. Quelle/Autor: Haus des Spiels

Die Ergebnisse sollen auf ganz unterschiedlichen Ebenen Anwendung finden. Geplant ist beispielsweise eine Kooperation mit dem Stadtmuseum Tübingen, das das Thema Gamifizierung in sein Ausstellungskonzept einbinden und bei den Kurationsmethoden berücksichtigen möchte.

Historischer Bau mit Zukunftspotential

Während sich im Haus des Spiels längst eine aktive Spielkultur entwickelt hat, ist vor Ort doch noch vieles improvisiert. Denn das Gebäude muss dringend renoviert und saniert werden, um den Bedürfnissen einer modernen Kultureinrichtung (z.B. Barrierefreiheit, Brandschutzanforderungen) gerecht zu werden.

Daher wurde von Beginn an parallel zum inhaltlichen Konzept die Möglichkeit einer Generalsanierung diskutiert, die dem künftigen Nutzungskonzept entspricht, aber sowohl den originalen Renaissancebau , Rekonstruktion und die 1950er-Jahre-Architektur erhält. Denn der gesamte Gebäudekomplex Pellerhaus mit dieser einzigartigen Verschmelzung verschiedener Epochen und Ansprüche steht unter Denkmalschutz.

Entsprechend wurde von der Stadt gemeinsam mit dem Münchner Architekturbüro Rechenauer und dem Nürnberger Architekten und Baumanger Christopher Bloß ein Sanierungsmodell erarbeitet.

Das Baukonzept des zukünftigen Pellerhauses soll Räumlichkeiten für Seminare, Coworking-Spaces, eine Spielwerkstadt, Eventsäle und sogar ein Spiele-Bistro für das leibliche Wohl der Besucher bieten. Und natürlich bekommt auch das Projekt-Team ein neues Büro.

Ursprünglich sollte die nach ersten Kostenschätzungen 34,8 Millionen teure Generalüberholen bis 2025 über die Bühne gehen. Das wird sich allerdings jetzt, da der Titel der Kulturhauptstadt nach Chemnitz ging, ein wenig nach hinten verschieben.

Der Bauntrag wurde bereits gestellt. Nun fehlt nur noch das offizielle Go des Stadtrats, der hoffentlich noch im September 2021 kommt. Wenn alles nach Plan läuft, wird das Haus des Spiels 2023/24 ausziehen, damit der Bau beginnen kann. Nach ungefähr 3 Jahren Bauzeit soll es dann seinen Betrieb (wieder-) aufnehmen können.

„Unser Interimskonzept für die Bauphase wird auf die Zusammenarbeit mit vielen lokalen Institutionen setzen. Damit können wir gewährleisten, dass auch bis zur Fertigstellung des Pellerhauses der Geist des Haus des Spiels in der Stadtbevölkerung wachgehalten wird“, verrät Christin.

Eine neue Homepage wird schon sehr bald online gehen und ist vollgepackt mit vielen Infos, wie genau die Zukunft des Pellerhauses aussehen wird und auch, wie es im Detail während der Bauphase weitergeht.

Unterdessen wird sich das Konzept sicherlich weiterentwickeln. Neue Kooperationen werden kommen, andere gehen. So wie jüngst das Nürnberger E-Sports-Team Project Hive, das zwei Jahre mit dem Haus des Spiels zusammenarbeitete und gerade mit dem Ausbau eines eigenen E-Sport-Zentrums beschäftigt ist. Dafür sind nun seit ein paar Wochen die Frankenfinals, das größte E-Sport-Event der Region, an Bord.

„Wir wollen das Haus des Spiels zu einem Netzwerkknotenpunkt der Spielkultur machen. Wir freuen uns immer über spannende Kooperationsanfragen, kreative Ideen und tatkräftige Unterstützung“, schließt Sebastian.

Unser Artikel gibt nur einen kleinen Einblick auf die zahlreichen Aktvitäten und Angebote des Haus des Spiels in Nürnberg. Um euch über aktuelle Aktionen zu informieren, schaut doch auch auf der Homepage des Haus des Spiels vorbei und abonniert den Facebook– und/oder Instagram-Kanal. Es gibt sogar einen Discord-Server.

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