In unserer Interview-Reihe mit Experten aus der Games-Branche erhaltet ihr einen exklusiven Blick hinter die Kulissen der Spieleproduktion in Deutschland, erfahrt etwas über die unterschiedlichen beruflichen Möglichkeiten in der Videospielindustrie und bekommt wertvolle Tipps für den Einstieg in euren Traumberuf. Diesmal erzählt uns Gina Voerde von KING Art Games (Bremen), warum ihr keine Angst davor haben dürft, Profis anzuquatschen und dabei immer eure Visitenkarte einstecken haben solltet.
Liebe Gina, gib uns doch zum Einstieg einen Kurzabriss deines Lebenslaufs.
Ich komme aus Dortmund, habe dort meine Ausbildung gemacht, bin fürs Studium nach Münster gezogen, habe meinen Bachelor in München bei Mimimi Games gemacht und bin dann über eine Empfehlung von meinem Chef Johannes Roth zu KING Art Games nach Bremen gekommen.
Was war das für eine Ausbildung, die ganz am Anfang deiner Karriere stand?
Ich bin nach der 10. Klasse von der Gesamtschule runter und habe an einem Berufskolleg eine Ausbildung zur Gestaltungstechnischen Assistentin gemacht, mit der hübschen Abkürzung GTA. Das ist recht verbreitet in meiner Zunft. Da hast du dann weiter dein Mathe, Deutsch, Englisch, Sport und Reli, aber eben auch Fächer wie Fotografie, Präsentationstechniken oder Grafikdesign. Und das war extrem gut, weil ich später auf der Uni praktisch schon alles konnte. Das würde ich jedem empfehlen. So hatte ich eine abgeschlossene Ausbildung und gleichzeitig die Fachhochschulreife in der Tasche, mit der ich studieren gehen konnte.

Wie ging es danach weiter?
Ich hab mich nach der Ausbildung mit meiner Mappe in Münster für ein Illustrationsstudium beworben und meine sechs Semester studiert. Bei der Gamescom 2016 habe ich beim Volunteeren auf der Indie Arena Booth die Mimimis kennengelernt, die da Shadow Tactics ausgestellt haben. Das Volunteeren habe ich viele Jahre gemacht. Ich hatte immer mein Tablet dabei, mit allen meinen Bildern drauf, die ich dann allen Leuten energisch ins Gesicht gehalten habe. So habe ich viel Feedback bekommen, oder wie in diesem Jahr, die Möglichkeit, meinen Bachelor in der Games-Branche zu machen. Das war gar nicht so einfach. Da es ja kein Pflichtpraktikum war, hätte ich theoretisch volles Gehalt bekommen müssen. Da steigen viele aus. Bei den Mimimis hat das aber geklappt. Ich war sehr begeistert von ihnen und sie von mir, und so konnte ich Ende 2017 dort meinen Bachelor machen. Das ging ungefähr ein halbes Jahr. Und von da aus bin ich weiter nach Bremen zu KING Art Games, wo ich heute arbeite.
Du bist ja schon ziemlich herumgekommen. Wie hast du das organisatorisch gemacht, mit den ganzen Umzügen?
Tatsächlich wundere ich mich, dass ich das so durchgezogen habe. Ein guter Punkt ist, nicht zu viel darüber nachzudenken und einfach zu machen. Irgendwie kriegt man das schon gewuppt. Meine Eltern haben mir beim Umzug nach Münster geholfen. Als ich dann weiter nach München bin, habe ich meine Wohnung in Münster zur Zwischenmiete abgegeben und einen Großteil meiner Sachen einfach dagelassen. Von der Miete meiner Wohnung in Münster konnte ich dann mein Zimmer in München bezahlen. Von München nach Bremen war es dann etwas komplizierter, weil ich meinen ganzen Kram von Münster und Dortmund mitgenommen habe. Aber alle Helfer haben es überlebt, und ich wäre auch definitiv bereit weiter umzuziehen, wenn es sich ergibt. Vermutlich, weil ich das bei meinen Idolen schon seit Jahren so beobachten habe. Außerdem muss man in einem Land wie Deutschland einfach flexibel sein, da es außerhalb der Hotspots wie München, Hamburg, NRW, Frankfurt oder Berlin kaum größere Studios gibt.

Du hast gerade von Idolen gesprochen. Wie wichtig sind die deiner Meinung nach?
Wenn mir Filme oder Spiele gefallen, dann will ich wissen, wer die gemacht hat. Ich google die Menschen, schaue mir die Artbooks an, folge ihnen. Mich interessiert nicht nur ihre Arbeit an sich, sondern auch, was sie gemacht haben, um dahin zu kommen, wo sie heute sind. Viele sind natürlich Amerikaner, weil die Industrie da viel stärker ausgeprägt ist als hier. Von ihnen habe ich mir auf jeden Fall abgeguckt, dass man flexibel sein muss. Und natürlich den ein oder anderen Kniff.
Gibt es in Deutschland auch Koryphäen, die jeder kennt?
Der Illustrator Helge C. Balzer fällt mir da ein.Mit seinen Fantasy-Illustrationen ist er mittlerweile international tätig. Ihn habe ich persönlich auf der Role Play Convention 2013 kennengelernt, wo er einen Stand hatte. Damals war ich noch auf dem Berufskolleg und habe überlegt, wo ich studieren gehen soll. Eigentlich hatte ich bei der Hochschule für Mediendesign in Düsseldorf (MD.H) so halb meinen Fuß in der Tür. Da gibt es ein Studiengang „Game Design“. Aber Helge hat mir zu einer öffentlichen Uni geraten. So private Schulen kosten ja auch immer eine ganze Stange Geld. An die Empfehlung hab ich mich gehalten.
Hast du die Entscheidung bereut?
Zumindest zu diesem Zeitpunkt waren die Ausbildungen an Privaten einfach nicht vielversprechend. Unter den Dozenten war niemand, dem ich hätte nacheifern wollen. MD.H-Studenten berichteten von mehr Nach- als Vorteilen. Außerdem ist damals die Professorin Linda Breitlauch nach Trier gewechselt. Auch mit anderen privaten Schulen wie dem SAE Institut oder der School4Games konnte ich mich nicht so anfreunden. Das ist jetzt auch schon etwas her, vielleicht ist das heute anders. Eine Schule in Belgien, die Digital Arts & Entertainment in Kortrijk, hat beispielsweise einen ziemlich guten Ruf, wie auch die Breda University in den Niederlanden. Einige meiner Kollegen waren da. Man sollte sich einfach sehr gut informieren, bevor man sich für eine Uni oder ein Institut entscheidet.
Nach dem Studium ging es ja recht nahtlos für dich weiter. Welche Tipps hast du für Bewerbungen?
Ich habe bei KING Art Games viele Bewerbungen angeschaut und Eignungstests ausgewertet. Wenn so eine Bewerbung reinkommt, klicke ich zuerst den Link zum Portfolio an. Wenn das passt, lese ich mir die Bewerbung durch, um zu erfahren, wo die Person herkommt, an welchen Projekten sie mitgearbeitet hat und welche Qualifikationen sie mitbringt. So als allgemeiner Tipp: Nicht zu kompliziert machen. Natürlich kann man mit etwas Witz und grafischem Ideenreichtum Mehrwert schaffen. Damit sollte man es aber nicht übertreiben. Das Wichtigste ist ohnehin, dass man keinen Mist reinschreibt. Also beispielsweise den Namen der Firma nicht verhunzt, bei der man sich bewirbt. Ein Pluspunkt ist, wenn man schonmal Kontakt zu jemanden aus dem Team hatte.

Wie sieht dein Arbeitsalltag bei King Art aus? Hat sich durch Corona etwas für dich verändert?
Ich fahre jeden Morgen mit dem Fahrrad in die Arbeit, mache dann so gegen 9.00 Uhr oder 9.30 Uhr den Rechner an. Manch Verrückte sind dann schon seit zwei Stunden im Büro. Ich schnappe mir dann erstmal einen Kaffee oder Kakao und schaue mir an, was bisher so passiert ist.. Dann arbeite ich meine aktuellen Aufgaben ab, zum Beispiel Konzipieren oder Modellieren. Was fertig ist, kommt in den Chat. Kommt keine Kritik, schließe ich die Aufgabe ab und buche meine Arbeitszeit. Danach schaue ich mir an, was gerade Prio hat und arbeite da weiter. Um 10.45 Uhr ist unsere Daily mit dem Team. Die gab’s auch bei den Mimimis. Manchmal gibt es zusätzlich noch Team-Meetings. Seit Corona hat sich für mich nicht viel geändert. Außer, dass die Meetings online stattfinden.
Und wenn du nach Hause kommst?
Manchmal nehme ich mir tatsächlich Arbeit mit nach Hause. Meistens arbeite ich aber an persönlichen Projekten oder zocke auch einfach mal ein Game. Als ich nach Bremen kam, habe ich noch öfter an LARPs teilgenommen, was jetzt natürlich nicht mehr möglich ist. Da habe ich dann nach der Arbeit die Nähmaschine ausgepackt und an einem Kostüm weitergebastelt. Vor kurzem habe ich mir einen 3D-Drucker zugelegt. Seitdem habe ich quasi nichts anderes mehr gemacht, als Figuren in Z-Brush zu gestalten, sie auszudrucken und dann auf den Schreibtisch zu stellen. Das ist so geil, mal etwas in der Hand zu haben. Das hat man in meinem Beruf eher selten. Ich hab früher auch Pokémon-Figuren und so gesammelt. Jetzt selber so was zu machen, ist schon cool.

Wäre Freelancing für dich auch eine Option?
Ich habe meinen Bachelor bei den Mimimis auf Freelancing-Basis gemacht. Das hat in dem Fall gut geklappt. Man braucht aber die richtigen Dozenten, die einen dabei voll unterstützen. Ich habe damals an Desperados mitgearbeitet und musste dafür eine NDA unterschreiben. Mein Chef kannte sich aber mit allem super aus. Das hat es einfacher gemacht – auch für die Dozenten. Nach dem Studium war Freelancing keine Option, weil ich einen strukturierten Arbeitsalltag bevorzugte, den ich eigenständig nach dem Studium nicht so schnell auf die Beine hätte stellen können. Außerdem wollte ich in einem Umfeld arbeiten, in welchem ich von meinen Kollegen nicht nur lernen kann, sondern man auch aufeinander Acht gibt. Als Freelancer musst du einfach ein echt gutes Selbstmanagement haben. Viele Freelancer, die ich kenne, arbeiten in Coworking-Spaces. Das hilft bei der Arbeitsmoral. Dafür bekommt man viel Freiheit und die Möglichkeit, auch mit größeren Studios zusammenzuarbeiten. Das muss man selber entscheiden, was einem mehr taugt.
Was machst du persönlich, um deine Fähigkeiten zu verbessern?
Ich wollte einfach nie was anderes machen, als den ganzen Tag zu malen und zu zeichnen. Das schiere Arbeitsvolumen hat mir natürlich dabei geholfen, schnell besser zu werden. Ich habe auch immer versucht, verschiedene Sachen auszuprobieren, unterschiedliche Studien zu machen. Also nicht immer nur Hunde zu zeichnen, sondern auch verschiedene Wassertiere, Reptilien und so weiter, um mir eine Bibliothek in meinem Kopf aufzubauen. Um weiterzukommen, musst du auch einfach mal aus deiner Komfortzone raus. Gerade habe ich noch ein Abo auf schoolism.com. Das kostet zwar, aber da sind echte Experten, bei denen du sicher sein kannst, dass du auch etwas lernst. Für Schüler fällt mir da die Games Factory Ruhr ein, die Workshops anbietet. Ihnen würde ich auch den Girl’s Day beziehungsweise Boy’s Day ans Herz legen, an dem sie einen Tag lang Games-Branchen-Luft schnuppern dürfen. Auch KING Art Games ist da dabei.
Was hilft einem noch, sich weiterzuentwickeln?
Es finden regelmäßig Challenges statt, bei denen ich oft mitmache, beispielsweise auf Artstation oder so was wie der Inktober. Man lernt dabei mit Deadlines umzugehen, kann sich anschauen, wie andere das Thema umgesetzt haben und sich dabei was abgucken. Game Jams sind noch ein ganz großes Ding. Man lernt in einem interdisziplinären Team zu funktionieren und gewöhnt sich an den Stress und den Druck. Dazu gibt es Feedback von anderen Teilnehmern und am Ende kommen oft ziemlich coole und runde Sachen raus, die du für dein Portfolio nutzen kannst. Und Feedback bekommst du da natürlich auch.Ich war allgemein auf vielen Branchen-Veranstaltungen, hab mir dort Workshops und Talks angehört. Heutzutage gibt es zudem viele gute Discord-Kanäle, auf denen man sich auch außerhalb von Events mit Designern auf der ganzen Welt austauschen kann. Da gibt’s beispielsweise spezielle Kanäle, in denen du dir Karriereratschläge von Profis oder Tipps für das Portfolio einholen kannst. Wichtig ist, dass du deine Arbeit irgendwo online stellst, damit du sie jederzeit präsentieren kannst.

Mit welchen Programmen muss man sich unbedingt auskennen?
Für einen 2D-Artist ist Photoshop das Must-Have. Mit Clip Studio Paint oder Krita gibt es zwar Alternativen, aber ich persönliche kenne kaum jemanden, der damit arbeitet. Bei Apple-Geräten hat sich Procreate durchgesetzt. Es gibt für Photoshop noch ein paar Addons und Plug-Ins, die die Arbeit erleichtern wie Lazy Nezumi oder Color Constructor. Sich nur auf 2D zu konzentrieren ist allgemein etwas schwierig. Viele erwarten, dass man sich auch mit anderen Dingen auskennt. Mit 2D-Animation, Texturieren oder auch UI. Um die Brücke zu 3D zu schlagen: Substance Painter ist noch ziemlich relevant. Damit kann man 3D-Modelle texturieren, ohne 3D-Erfahrung zu haben. Das gleiche kann 3DCoat. Im 3D-Bereich sind Blender, Maya und 3D-Max in der Branche weit verbreitet. Die können alle ungefähr das gleiche. Es schadet daher nicht, in alle reinzuschnuppern, damit du alles mal gesehen hast und auch begründen kannst, warum du welches Programm bevorzugst. Blender wurde früher etwas belächelt, hat in den letzten Jahren aber stark aufgeholt. Und es hat nach wie vor den Vorteil, dass es kostenlos ist.
Was würdest du Berufseinsteigern unbedingt empfehlen?
Das Volunteering war für mich Gold wert. Man muss nur einfach den Mut haben, auf die Leute zuzugehen und die Möglichkeiten nutzen, die dort geboten werden. Ich bin auf einer Gamescom mal zum Stand von THQ und habe den Art Director von Darksiders, der dort Battlechasers präsentiert hat, in ein Gespräch verwickeln und viel Feedback mitnehmen können. Blizzard bot während ihres Bühnenprogramms ein Meet and Greet mit den Art Directors von Hearthstone an, was ich nutzte, um mir Rückmeldung zu meinem Portfolio zu holen. Klar kann man da auch mal Pech haben und der oder die ist gerade gestresst oder hat schlechte Laune. Die meisten geben aber super gerne etwas von ihrem Wissen weiter. Was bei so Aktionen allerdings super wichtig ist: Visitenkarte dabei haben! Die macht nicht nur Eindruck, sondern die Leute können sich auch nach dem Event noch anschauen, wer du bist und was du machst. Was aus meiner Sicht auch noch extrem wichtig ist, ist sich eine Community zu suchen. Discord ist da eine der besten Adressen.
Vielen lieben Dank Gina, für die Einblicke in deine Arbeit und die vielen wertvollen Ratschläge.
Mehr von Gina und ihrer Arbeit findet ihr auf ihrem Blog rainbowrat.com.
Tolles Interview und schön so einen Einblick in die Branche und den Weg dahin zu bekommen! 🙂 Gerne mehr davon.
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