Zocken macht dumm, zocken macht süchtig, zocken macht aggressiv und gewalttätig. Die Liste der negativen Effekte, die Videospielkonsum auf das Gehirn haben soll, ist lang. Was ist dran an den Vorurteilen? Gibt es nicht auch positive Effekte? Wir werfen einen Blick auf verschiedene Studien aus der Hirnforschung und deren Ergebnisse.
Sind WoW-Gamer dumm? Eine Untersuchung an der Universität Ulm unter der Leitung von Professor Christian Montag kam 2017 zu einem für MMORPG-Zocker betrüblichen Ergebnis. In ihrer Studie wiesen er und sein Team nach, dass bereits eine Stunde täglicher World of Warcraft-Konsum zu einer Abnahme des Hirnvolumens im orbitofrontalen Kortex führt. Der ist unter anderem verantwortlich für die Emotionsregulierung und Entscheidungsfindung. Betroffene sind beispielsweise antriebsloser, Emotional degeneriert und verwahrlosen.
Von den 119 Teilnehmern waren 41 erfahrene Gamer, die laut den Ergebnissen aus einem MRT-Scan bereits mit einem geringeren Volumen starteten. Doch auch unter den übrigen 78 nicht-Gamern zeigte sich nach nur sechs Wochen täglichen WoW-Konsums eine Abnahme im betreffenden Gehirnareal, während sich bei der nicht zockenden Vergleichsgruppe kein Veränderung feststellen ließ. Die Forscher vermuten, dass mit der Reduzierung des OFC-Volumens auch das Entwickeln eines Suchtverhaltens einhergehen kann.
Macht uns das töten von Zombies selbst zu Zombies?
Heißt das, dass alle Gamer über kurz oder lang zu emotionslosen Zombies degenerieren? Wenn sich das so bedingungslos übertragen ließe, müsste ich mit meinen 700 Tagen Spielzeit (ja Spielzeit, nicht gespielte Tage) in World of Warcraft nur noch sabbernd in einer Ecke vor mich hin vegetieren. Ganz so einfach scheint es dann doch nicht zu sein. Und es gibt auch andere Studien, die zu deutlich abweichenden Ergebnissen kommen.
In der Fachzeitschrift Molecular Psychiatry veröffentlichten Forscher die Ergebnisse einer Untersuchung, die sich mit den Auswirkungen des Zockens auf dem Hippocampus beschäftigten. Im Bereich des Hippocampus befinden sich die Teile des Gehirns, die für die Gedächtnisbildung verantwortlich sind. Die kanadischen Wissenschaftler fanden heraus, dass es zwar ein Zusammenhang zwischen Gaming und der Menge Grauer Hirnsubstanz in diesem Areal gibt. Jedoch ist die Wirkung im Detail abhängig vom Spielertyp, beziehungsweise welcher Lerntyp ein Spieler ist.
Eine Frage des Typs
Die Probanden der Studie waren alle ausgewiesene Nicht-Spieler, deren Gehirne jeweils vor und nach einer Spiel-Session im MRT untersucht wurden. Während die eine Spielergruppe sich mithilfe von Reiz-Reaktion-Lernen im Spiel orientierte, das heißt sie merkten sich, welche Bewegungsabläufe zum gewünschten Erfolg führten, setzten die anderen auf räumliches Lernen und orientierten sich an Objekten im Raum.
Auffällig war vor allem, dass sich bei den Reiz-Reaktion-Lernenden nach dem Konsum von Shootern ein Rückgang der Grauen Substanz am rechten Hippocampus zeigte. Dieser spielt bei der Überleitung des Kurzzeitgedächtnisses in das Langzeitgedächtnis eine zentrale Rolle. Gleichzeitig nahm die Graue Substanz in der Amygdala zu. Die Amygdamal ist an der emotionalen Bewertung von Situationen und Gefahrenanalyse beteiligt.
Daraus kann man schließen, dass diese Probanden sich zur Bewertung von gefährlichen Situationen mehr auf ihr Bauchgefühl verließen, als auf Fakten. Bei den räumlich orientierten Gamern nahm die Graue Substanz im linken Hippocampus zu. Dafür gab es keine Veränderung in der Amygdala. Sie bewerteten die Lage also eher objektiv. Das zeigt zwar, dass Videospiele eine Wirkung auf das Gehirn haben, die muss aber nicht unbedingt negativ sein.
Virtuelles Tischtennis für Chirurgen
Der Spaß, den wir beim Zocken empfinden, ist auch nichts anderes als ein neurologischer Vorgang. Eine perfekte Balance zwischen Herausforderung und Lösung erzeugt den sogenannten Flow-Effekt. Dieser Effekt versetzt unser Gehirn in einen euphorischen Rauschzustand. Denn unser Gehirn liebt es zu lernen! Es hat Spaß daran, ständig neue Aufgaben zu bekommen und noch mehr sie zu bewältigen. Dies führt neurobiologisch betrachtet zur Ausschüttung des Botenstoffes Dopamin, der, wie wir alle wissen, ein Glücklichmacher ist.
Wenn wir zocken und Spaß dabei haben, lernt das Gehirn also schneller und besser. Diesen Effekt könnte man sich theoretisch zunutze machen, also das Gehirn effektiv auf bestimmte Fähigkeiten trainieren. Und es gibt auch einige Studien, die solch einen Trainingseffekt, gerade bei der Bekämpfung von neurologischen Erkrankungen nachweisen konnten. Er ist aber auch faktisch für das Suchtpotential von Spielen verantwortlich und daher immer mit Vorsicht zu genießen.
Die Genfer Professorin der kognitiven Neurowissenschaften, Daphne Bavelier, beschäftigt sich seit Jahren sehr intensiv mit den Wechselwirkungen zwischen Games und Gehirn. Sie entwickelte ein Trainingsprogramm für Spieler, bei dem bestimmte Leistungsmuster jeweils vor und nach dem Intensivtraining verglichen wurden. Über einen Zeitraum von neun Wochen sollte eine Gruppe von Studenten insgesamt 50 Stunden in Einheiten von 40 Minuten je einen Action-Shooter und ein Simulationsspiel zocken.
Die zentrale Erkenntnis: Vor allem die Action-Gamer konnten ihre Leistungen in vielen der untersuchten Bereichen deutlich steigern. Sie waren besser beim Multitasking, waren geschickter darin, kognitive Aufgaben zu lösen, sie zeigten sich überlegen darin, sich zu konzentrieren und schnell Informationen zu verarbeiten und effektiver zu speichern. Außerdem konnten sie ihr räumliches Vorstellungsvermögen ausbauen, hatten sogar eine bessere visuelle Wahrnehmung von Graustufen. Und sie waren besser darin, unter Druck blitzschnell Entscheidungen zu fällen. Das allerbeste daran: Die positiven Effekte waren sogar noch ein Jahr nach der Studie nachweisbar!
Und das ist nur eine von vielen anderen Studien, die zusammengenommen eher einen positiven Einfluss des Zockens auf die Gehirnleistung attestieren. Hier ein paar Beispiele: Puzzle-Spiele sollen gegen Depressionen helfen, VR-Games lindern posttraumatische Belastungsstörungen oder helfen dabei, Phobien zu überwinden, Sportspiele animieren junge Menschen dazu, tatsächlich Sport zu treiben und sie verlangsamen Alterungsprozesse (wer hätte das gedacht! ;)).
E-Sportler und anderen Viel-Zocker schneiden in Intelligenztests besonders gut ab. Games hemmen möglicherweise Demenz- und Alzheimererkrankungen, verbessern die Lese- und Schreibfähigkeit von Legasthenikern, Chirurgen sind durch regelmäßiges virtuelles Tischtennis-Training erfolgreicher in der Operation, und, und, und. Trotzdem gibt es immer wieder Gegendarstellungen, die Medienkonsum und vor allem Zocken verteufeln. Sind die nur Meinungsmache?
Fazit: Was Games und Rotwein gemeinsam haben
Videospiel-Konsum HAT also unbestreitbar einen Einfluss auf unser Gehirn. Aber ist er nun positiv oder negativ? Die Expertin Bavelier löst das Dilemma mit einem so einfachen, wie naheliegenden Vergleich. Der Konsum von Computerspielen sei wie der Genuss von Rotwein. Wein hat – in geringen Dosen – viele positive Effekte für die Gesundheit, indem er beispielsweise den HDL-Cholesterinspiegel (das „gute Cholesterin“) erhöht.
Allerdings enthält Wein auch Alkohol. Und wir alle wissen, zuviel davon ist schädlich und kann sogar süchtig machen. Das gleiche gilt für Computerspiele: Zocken wir zu viel, können sich all die Benefits ins Gegenteil verkehren. Wir laufen Gefahr, ein echtes Suchtverhalten zu entwickeln, es kommt zu Schäden am Gehirn, der Bewegungsmangel schwächt unser Immunsystem, unser soziales Umfeld leidet. Wir leiden. Daher ist es schon in Ordnung, dass es auch warnende Stimmen gibt. Und wir sollten sie auch ernst nehmen. Den Spaß müssen wir uns davon jedoch nicht verderben lassen!
5 Gedanken zu “Game an Gehirn – Was Zocken mit unserem Denkorgan anstellt”