Deutschland hat nach wie vor an seinem schweren Erbe aus der NS-Zeit zu knabbern. Empfindlich wird alles geprüft, was aus dem Dritten Reich in unsere Gesellschaft schwabbt. Was eigentlich in guter Absicht geschieht, hat auch zur Folge, dass eine kritische Auseinandersetzung und eine Aufarbeitung der Thematik mitunter erschwert wird. Nun geht die Verfassung einen wichtigen Schritt in Richtung der Kunstschaffenden, die sich schon lange mehr kreative Freiheit für ihre (NS-kritischen) Werke wünschen.
Vor einigen Wochen habe ich in einer Kunstausstellung etwas gesehen, dass mich noch lange beschäftigte: Das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg – nachgebaut aus Streichhölzern. „Warum“, fragte ich mich, „ist das Kunst?“ Durch Recherche und Gespräche kam ich der Antwort auf die Spur. Es ist dieselbe, wie auf die Frage, warum es so wichtig ist, dass Videospiele in Deutschland Hakenkreuze darstellen dürfen.
Die Industrie wird langsam erwachsen
Die USK hat vor gut einem Jahr beschlossen, dass auch Spiele mit verfassungsfeindlichen Symbolen geprüft werden. Mit Wolfenstein: Youngblood kommt die Institution zur Selbstkontrolle der Videospiel-Industrie diesem Vorhaben nun nach. Wie zu erwarten war, ist das Spiel ab 18. Das ist alleine schon durch die exzessive Gewaltdarstellung gerechtfertigt.
Neben der internationalen Version, die auch in Deutschland vertrieben wird, existiert aber weiterhin eine geschnittene, „deutsche“ Version. Diese ist ebenfalls ab 18, beinhaltet aber keine Hakenkreuze oder andere reale Symbole des 3. Reichs. In den Verkaufscharts liegt die ungeschnitte Variante, trotz fehlender deutscher Synchronisation und Untertitel, deutlich vor der Zensierten. Und das, obwohl sich einige Anbieter wie Media Markt und Saturn laut GamesWirtschaft nur Letztere anbieten.
Vor einigen Jahren war es in Deutschland noch gang und gäbe, dass Spiele mit expliziten Inhalten zensiert, wenn nicht gar indiziert wurden. Diese Vorgehensweise ist glücklicherweise seltener geworden. Zahlreiche Studien belegen, dass der Konsum solcher Medienprodukte nicht automatisch zur Umsetzung der in ihnen vollzogenen Handlungen in der Realität führt.
Sex, Schimpfwörter, Gewalt und Drogen dürfen wir seit einiger Zeit digital konsumieren. Eine Sache war aber noch lange ein absolutes Tabu: Das 3. Reich. Doch warum? Hat sich Deutschland nicht vorbildlich mit der Vergangenheit auseinander gesetzt? Anscheinend nicht, wenn der Umgang mit der Thematik als Gradmesser dient. Wir dürfen uns dieser Vergangenheit durchaus schämen. Doch müssen wir ihr ins Gesicht blicken und nicht wegsehen.
Rechtlich gesehen ist die Darstellung von Hakenkreuzen bereits bei Wolfenstein 2: The New Colossus nicht verboten. Bethesda hatte sich damals freiwillig dazu entschieden, Symbole wie das Hakenkreuz zu zensieren. Und damit den deutschen Spielern die Möglichkeit genommen, sich damit auseinander zu setzen. Doch gerade in Deutschland ist die künstlerische Verwendung solcher Symbole wichtig. In anderen teilen der Welt kann man über die Nazis lachen. Nur hier nicht, wo es am nötigsten wäre.
Solang das Deutsche Reich besteht…
Die Nazis selbst hatten die Nutzung und Verbreitung ideologischer Symbole, solange nicht ausdrücklich von der Partei erlaubt, strengstens verboten, denn sie hatten Angst, in den Kitsch abzudriften. Die Verantwortlichen waren sich ihrer lächerlich karikaturistischen Präsentation bewusst. Es ist eine feine Linie zwischen funktionierender Propaganda und einem wandelnden Witz. Letztere waren natürlich auch verboten. Wer sich über die Partei lustig machte, konnte sogar im KZ landen.
Hätte das Regime nicht so vielen Menschen den Tod gebracht, es wäre wirklich zum Lachen. Aber versuchen wir es trotzdem. Humor ist ein Weg, Ideologien zu entlarven. Und Nazis in Videospielen abzuknallen ist doch durchaus humorvoll. Gerade in Wolfenstein, das sie weiter karikiert. Das Franchise ist trashig, laut und bunt – genau richtig also, um die NS-Propaganda in ihrer ganzen Lächerlichkeit zu entlarven. Zudem eignen sich Videospiele als inzwischen umsatzstärkstes Medium am besten, um die Massen und vor allem junge Menschen zu erreichen.
Kunst ist für mich, wenn das Objekt mich zum Denken anregt. Von daher, hat das Reichsparteitagsgelände aus Hölzern seine Aufgabe erfüllt. Und aus demselben Grund ist es auch so wichtig, dass in Wolfenstein: Youngblood das erste mal Hakenkreuze in einem Videospiel auf deutschen Bildschirmen zu sehen sind. Bethesda und id Software haben es geschafft – absichtlich oder nicht – mit einem Fortsetzungsspiel aus einem Genre mit häufig generischen Titeln, neue Maßstäbe zu setzen.